Zurück von der Alpenexkursion begrüßt mich der Direktor mit einer unliebsamen Einladung: "Um 10 Uhr ist Besprechung wegen eines Einspruchs."
Eine Mutter hat Berufung gegen eine Note eingelegt.
Ich suche hektisch alle Aufzeichnungen des vergangenen Jahres zusammen, um schlüssig begründen zu können, warum Schüler X ein "Genügend", kein Nicht genügend und auch kein Befriedigend, bekommen hat. Und ich muss zudem in die Benotung "Genügend" hineininterpretieren, ob dieses gut abgesichert ist oder eher die Prognose nahe legt, dass Schüler X in der Zukunft Lernprobleme haben könnte. Ein gewagter, ein unmöglicher Drahtseilakt:
Ist der Vierer ein guter Vierer, dann darf der Schüler - trotz einer negativen Beurteilung in einem zweiten Gegenstand - in die nächste Schulstufe aufsteigen. Wir sagen: "Er kriegt die Klausel." Ist der Vierer ein schwacher Vierer, dann muss er eine Wiederholungsprüfung machen und darf vorerst nicht aufsteigen: "Keine Klausel." Die Entscheidung fiel zwar in der Klassenkonferenz, aber meine Beurteilung gab den Ausschlag.
Diese psychische Belastung holt mich aus dem Schlaf: "Das kostet ihm ein Jahr, ein Lebensjahr. Vielleicht verlässt er sogar die Schule - wegen mir. Er wird aus dem Klassenverband herausgerissen, verliert seine Freunde und ich bin Schuld. Natürlich gibt es Reibereien in der Familie, ich könnte sie mit einem Federstrich beseitigen. Warum bin ich so blöd? Ich brauche doch nur ein Wort sagen: abgesichert."
Am nächsten Tag erkläre ich dem Klassenvorstand: "Von mir aus kann der Schüler die Klausel haben." Ich bin zum Nachgeben bereit, weil ich die Relativität von Noten kenne und weil ich weiß, wie viel Arbeit die schriftliche Dokumentation des ganzen Schuljahres machen wird.
Aber fünf Minuten später, in der Direktion, höre ich mich ganz andere Worte sagen: "Mein Urteil ist gut überlegt. Ich darf dem Schüler und seinen Eltern nicht den Eindruck vermitteln, dass ein Aufstieg problemlos verlaufen wird, das wäre unverantwortlich."
Ich fühle, dass ich zu meiner Entscheidung stehen und den Konferenzbeschluss verteidigen muss. Später wird mir klar, dass Berufungen zu spät einsetzen, erst nach einem psychologischen point of no return, dass Mediation bereits vor Konferenzbeschlüssen stattfinden müsste.
Reden statt berufen.
Eine Mutter hat Berufung gegen eine Note eingelegt.
Ich suche hektisch alle Aufzeichnungen des vergangenen Jahres zusammen, um schlüssig begründen zu können, warum Schüler X ein "Genügend", kein Nicht genügend und auch kein Befriedigend, bekommen hat. Und ich muss zudem in die Benotung "Genügend" hineininterpretieren, ob dieses gut abgesichert ist oder eher die Prognose nahe legt, dass Schüler X in der Zukunft Lernprobleme haben könnte. Ein gewagter, ein unmöglicher Drahtseilakt:
Ist der Vierer ein guter Vierer, dann darf der Schüler - trotz einer negativen Beurteilung in einem zweiten Gegenstand - in die nächste Schulstufe aufsteigen. Wir sagen: "Er kriegt die Klausel." Ist der Vierer ein schwacher Vierer, dann muss er eine Wiederholungsprüfung machen und darf vorerst nicht aufsteigen: "Keine Klausel." Die Entscheidung fiel zwar in der Klassenkonferenz, aber meine Beurteilung gab den Ausschlag.
Diese psychische Belastung holt mich aus dem Schlaf: "Das kostet ihm ein Jahr, ein Lebensjahr. Vielleicht verlässt er sogar die Schule - wegen mir. Er wird aus dem Klassenverband herausgerissen, verliert seine Freunde und ich bin Schuld. Natürlich gibt es Reibereien in der Familie, ich könnte sie mit einem Federstrich beseitigen. Warum bin ich so blöd? Ich brauche doch nur ein Wort sagen: abgesichert."
Am nächsten Tag erkläre ich dem Klassenvorstand: "Von mir aus kann der Schüler die Klausel haben." Ich bin zum Nachgeben bereit, weil ich die Relativität von Noten kenne und weil ich weiß, wie viel Arbeit die schriftliche Dokumentation des ganzen Schuljahres machen wird.
Aber fünf Minuten später, in der Direktion, höre ich mich ganz andere Worte sagen: "Mein Urteil ist gut überlegt. Ich darf dem Schüler und seinen Eltern nicht den Eindruck vermitteln, dass ein Aufstieg problemlos verlaufen wird, das wäre unverantwortlich."
Ich fühle, dass ich zu meiner Entscheidung stehen und den Konferenzbeschluss verteidigen muss. Später wird mir klar, dass Berufungen zu spät einsetzen, erst nach einem psychologischen point of no return, dass Mediation bereits vor Konferenzbeschlüssen stattfinden müsste.
Reden statt berufen.
teacher - am Freitag, 3. Juli 2009, 08:14